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Herausforderungen: Verbundenheit und Autonomie

Zu jeder Verbundenheit mit dem Partner gibt es immer auch einen Gegenpol – den Wunsch nach Autonomie, also nach Selbstbestimmung, Eigenständigkeit, Abstand und Freiraum. Diesen Wunsch in Einklang zu bringen mit Zugehörigkeit, Bindung und Abhängigkeit ist in einer Partnerschaft eine Herausforderung.

Bedürfnis nach Verbundenheit

Als Paar miteinander in Beziehung und verbunden zu sein kennzeichnet sich typischerweise dadurch aus, dass wir uns Nähe wünschen, uns bei Belastung gegenseitig unterstützen und dem Partner Vertrauen entgegenbringen. Durch die Bindung kommt es auch zu einer Abhängigkeit vom anderen, die jedoch nicht negativ erlebt werden muss, wenn sie freiwillig ist und positive Effekte auf beide Partner hat.
 
Eine extreme Form von Verbundenheit ist die "Symbiose" – die Partner geben sich als Individuen auf, sie sind stattdessen nur noch Paar. Oft kommt es zu dieser Beziehungsform in der Phase der Verliebtheit, weil alles Glück der Welt vom anderen Partner kommt, und die Partner werden dann wieder als Individuen sichtbar, wenn die Phase abklingt.
Manchmal ist jedoch die "Angst vor der Selbstwerdung" (Fritz Riemann: Grundformen der Angst) so groß, dass die Partner in der Symbiose bleiben, aus Angst vor Einsamkeit, Alleine gelassen oder Verlassen zu werden. Wenn wir nicht mehr frei entscheiden können, ob wir in Beziehung sein wollen oder nicht, wenn die Abhängigkeit vom anderen oder die Symbiose mit dem anderen zu groß ist, wenn wir glauben, ohne den Anderen nicht leben zu können, dann verkehrt sich die positiv erlebte Verbundenheit ins Gegenteil.

Bedürfnis nach Autonomie

Autonomie (von altgriechisch autos = selbst und nomos = Gesetz) bedeutet, unabhängig von anderen zu urteilen, zu entscheiden und zu handeln.
 
Autonom sein heißt beispielsweise:
Ich bin im "Hier und Jetzt" und nehme ungefiltert Sinneseindrücke wahr
Ich spüre meine Gefühle und drücke sie aus, wie sie sind
Ich äußere meine Gedanken und bin frei in meinen Handlungen
Ich bin mir meines eigenen Körpers bewusst, weiß, wie er aussieht, sich anfühlt und funktioniert
Ich weiß, was ich will und welche Wünsche ich habe
Ich bin spontan offen
(Quellen: u.a. Eric Berne: Spiele der Erwachsenen: Psychologie der menschlichen Beziehungen; Ian Stewart und Vann Joines: Die Transaktionsanalyse. Eine Einführung)

Autonom sein in einer Beziehung heißt:

Jeder von uns (mein Partner und ich) hat (auch) ein eigenes Leben.
Dazu gehören beispielsweise ein eigener Freundeskreis, eigene Aktivitäten und Hobbies, eigene Vorlieben.

Jeder von uns (mein Partner und ich) hat Freiräume und Geheimnisse.
Freiräume sind für den anderen tabu, sie dienen gemeinsam mit Geheimnissen dazu, sich vom anderen abzugrenzen und sein eigenes Selbst zu bewahren. Dabei geht es weniger darum, "totale" Geheimnisse vor dem Partner zu haben, also etwas vor dem Partner so zu verbergen, dass er davon überhaupt nichts weiß. Gemeint sind eher "relative" Geheimnisse, Details des eigenen Lebens, beispielsweise private Tagebücher, Träume, Gedanken oder Pläne.
 
Eine extreme Form von Autonomie ist die  "Abgrenzung" – die Beziehung zum anderen ist dann nur schwach ausgeprägt. Zur Abgrenzung kann es kommen, wenn ein Partner Angst hat, sich selbst zu verlieren, zu sehr abhängig zu werden oder zu große Intimität und Nähe fürchtet. Eine Strategie dazu ist, neben dem Partner zu anderen Personen eine enge Beziehung aufzubauen.

Die gute Balance finden

Bei einer Befragung mit rund 4000 Teilnehmern zum Thema "Trennungsgründe" nannten 26 Prozent der Befragten "Wir hatten unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe und Freiraum." Wie aber findet man gemeinsam eine gute Mischung zwischen "in Beziehung sein" und "selbstbestimmt sein"? Der Paartherapeut Jürg Willi meint dazu in seinem Buch Die Zweierbeziehung: "Ich glaube, dass jedes Paar sich seine Position auf einem Kontinuum zwischen Verschmelzung und rigider Abgrenzung suchen muss. Der Mittelbereich zwischen diesen Extremen erlaubt ein normales Funktionieren einer Paarbeziehung."

Ein solcher Mittelbereich kann sein:

  • Jeder Partner ist auch Individuum und damit klar vom anderen unterscheidbar.
  • Jeder Partner respektiert die Individualität des jeweils anderen Partners und akzeptiert Grenzen, die vom anderen gesetzt sind.
  • Das Paar ist als Paar sichtbar, es fühlt sich als Paar und hat gemeinsam ein Eigenleben.
  • Die Beziehung des Paares zueinander unterscheidet sich von Beziehungen zu anderen Personen

Statistische Daten zu "Verbundenheit und Autonomie"

4500 Singles wurde befragt, welche Freiräume ihnen wichtig sind. Die Ergebnisse: 85 Prozent der Frauen und 74 Prozent der Männer legen Wert auf getrennte Kasse und möchten ihr eigenes Bankkonto behalten. 66 Prozent der Männer und 55 Prozent der Frauen möchten ihr Hobby bzw. ihre Freizeitbeschäftigung alleine ausüben. 58 Prozent der Befragten sind für einen eigenen Freundeskreis. Und 14 Prozent der Frauen und 8 Prozent der Männer wünschen sich getrennte Betten. (Quelle: ElitePartner-Trendmonitor)

Bei einer Befragung mit rund 4000 Teilnehmern zum Thema "Trennungsgründe" nannten 26 Prozent der Befragten "Wir hatten unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe und Freiraum." (Quelle: ElitePartner-Trendmonitor)

Bei manchen kirchlichen Trauungen fällt der Satz "Wo du hingehst, da will auch ich hingehen" . 1954 stimmten noch 50 Prozent aller Paare ohne Einschränkung zu, 1997 waren es nur noch 12 Prozent. Studierte, junge Menschen und Singles lehnen bedingungslose Abhängigkeit am häufigsten ab, sie fühlen sich ihrem Partner verbunden, legen aber auch Wert auf Selbstständigkeit und persönlichen Freiraum. (Quelle: Focus Studie / Focus Magazin Nr. 46/1997).

Bücher

Buchcover Cassandra Phillips, Dean C. Delis: Ich lieb dich nicht, wenn du mich liebst: Nähe und Distanz in Liebesbeziehungen
Buchcover Anselm Grün, Ramona Robben: Grenzen setzen - Grenzen achten: Damit Beziehungen gelingen - Spirituelle Impulse
Buchcover Wolfgang Schmidbauer: Die Angst vor Nähe
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